Die MVP-Strategie – Wie „Minimum“ darf ein Produkt sein?

Blaues Holzhaus provisorisch mit Bändern gesichert
Quelle: Mark König | unsplash

Ein Minimum Viable Product ist ein Produkt, das in seiner annehmbaren Rohform dem Kunden vorgesetzt wird. Ziel ist ein schnelles Feedback der Kunden: Wird das Produkt so akzeptiert? – Und wenn nicht, was kann verbessert werden? Dabei hilft eine MVP-Strategie nicht nur jungen Start-ups bei der Produktentwicklung, sondern kann auch gestandenen Unternehmen den Weg in die Digitalisierung erleichtern.
 
Die Wahrnehmung über das MVP-Prinzip war stets positiv. Auch Handelskraft berichtete hier und dort über den Ansatz. Aber wie so oft gilt: Kommt Zeit, kommt Rat. Denn natürlich bergen öffentliche Tests unfertiger Produkte ein gewisses Risiko, das Unternehmen nicht unterschätzen sollten. Ist das MVP-Prinzip also in seiner jetzigen Form noch zu gebrauchen?

Kleine Schritte, großer Erfolg?

MVPs kommen meist dann zum Einsatz, wenn über die Zielgruppe noch kein wirklich fundiertes Wissen vorhanden ist oder die nächste Entwicklung scheinbar so fernab vom Schuss ist, dass die Reaktion der Kunden schlichtweg nicht vorhergesagt werden kann. Was ist also kundenfreundlicher als das Testen am Kunden selbst? Schließlich ist das Endprodukt dann bestenfalls genau das, was sich der Nutzer gewünscht hat.

Ein großer Kritikpunkt dabei ist aber die Definition eines MVPs und die damit einhergehende Gefahr, dass vor allem Neukunden von einem unfertigen Produkt abgeschreckt werden. Wie „Minimum“ muss also ein Produkt entwickelt werden um es (relativ) risikofrei der Öffentlichkeit zu präsentieren?

Exceptional Viable Product

Diese Frage stellt sich auch Rand Fishkin, der Gründer der Marketing Software MOZ. Fishkins Meinung nach bringt die Fokussierung auf das „Minimum“ nur bei wirklich sehr frühen Phasen oder bei einer übersichtlichen Anzahl an Wettbewerbern einen Mehrwert. Der MVP-Ansatz ist aber nicht völlig in Frage zu stellen. Viel mehr das Verständnis darüber sollte sich grundlegend ändern. Weg vom „Minimum“ hin zum „Exceptional Viable Product„.

EVP nach Rand Fishkin
EVP nach Rand Fishkin

Nein, ein EVP muss bei weitem kein fertiges Produkt oder Feature sein. Viel mehr ist es ein bereits in der Entwicklung gereifteres Konzept des Produkts, dass nicht nur bestehende Kunden einen „Wow!“-Effekt entlockt, sondern eben auch neuen Nutzern.

Mehr Arbeitsaufwand? Ja, aber…

Offenkundig: Die Entwicklung eines EVP erhöht den Arbeitsaufwand an einem Produkt, dass möglicherweise nicht vom Kunden angenommen wird. Nochmal: Das Ziel eines MVP-Ansatzes ist

  • das Testen eines Produktes unter realen Umständen,
  • das Sammeln von Feedback und Meinungen über das (unfertige) Produkte
  • und die Weiterentwicklung auf Basis der gesammelten Erkenntnisse.

Dieser Prozess wird bei einem EVP auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, weshalb ein EVP den „Wow!“-Effekt beim User schon nach dem Launch erreichen kann. Investiert wird vor dem EVP-Launch vor allem in Tests, die nun nicht mehr der Kunde, sondern die Mitarbeiter durchführen. Letztlich bleibt der Arbeitsaufwand bei beiden Modellen gleich bei einer erhöhten Kundenzufriedenheit auf der EVP-Seite.

EVP vs MVP

Dennoch hat das Entwickeln eines „Exceptional“-Prototypen den Nachteil, dass bei völliger Fehlinterpretation der Nutzerbedürfnisse ein Produkt an einem späten Zeitpunkt verworfen wird und somit viel Arbeitsaufwand ins „Nichts“ gesteckt wurde. Klassische Risikobetrachtung mit den Faktoren Arbeitsaufwand, Qualität des Produkts und der Frage, wie „Minimum“ ein Produkt sein darf ohne den Nutzer zu verschrecken.

Das MVP-Prinzip muss daher keineswegs in Frage gestellt werden. Viel mehr müssen sich Unternehmen fragen, wann denn nun ein Produkt einen Reifegrad erreicht hat, der dem Nutzer schon während der Testphase ein „Wow!“ entlockt. Der Status „Exceptional“ ist dabei nur Kennzeichen eines bereits reiferen MVPs, stellt aber keinen neuen Ansatz an sich dar.

Genug Theorie!

Wie sehen Produkte, die nach dem MVP-Ansatz entwickelt werden, eigentlich in der Praxis aus? Im E-Commerce-Bereich zeigt der Platzhirsch Amazon gut, wie man ein Produkt Schritt für Schritt am Kunden testet und es dann weiterentwickelt. Momentan wird so beispielsweise eine neue Form der Produktdetailseite getestet. Vorerst allerdings nur in ausgewählten Kategorien, beispielsweise Hygiene oder Haushalt.
Produktdetailseite Amazon
Auch das kürzlich gestartete Portal „Amazon Vehicles“ wird wahrscheinlich mit dem MVP-Prinzip entwickelt. So ist der Start der Plattform an sich ein Stimmungsbarometer dafür, wie sehr sich Amazon-Kunden für den Kauf eines Autos über den Onlinehändler interessieren. Die Weiterentwicklung dieser Strategie wäre der tatsächliche Verkauf von Kraftfahrzeugen.

In der Softwareentwicklung gibt es aber weit bessere Beispiele, die einen MVP-Ansatz verfolgen. Vor allem in der Spieleentwicklung kommen Entwickler ohne Live-Tests nicht aus. Oft wird Interessierten der Zugang zu neuen Features und Inhalten auf einem Testserver gewährt. Dort gesammelte Erfahrungen und Erkenntnisse fließen dann wiederum in die Weiterentwicklung für den Live-Server ein. Spieler sind somit ein sehr aktiver Teil der Entwicklung.

Auf die Spitze der Nutzer-Partizipation treibt es dabei das sehr ambitionierte Projekt „Star Citizen„, welches als eines der erfolgreichsten Kickstarter-Kampagnen gilt und in regelmäßigen Abständen immer neue Features verspricht, veröffentlicht, testet, verbessert oder verwirft.

Die MVP-Strategie als ein Teil

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